Oder die Frage nach der Natur des Menschen
Wo beginnen? Am besten am Anfang, bei der Schöpfung. Im Alten Testament entsteht die Schöpfung durch Gottes Wort. Das Johannesevangelium greift den Logos-Wort-Gedanken auf und wendet ihn auf Christus an. „Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch“. Wenn Gott durch sein Wort die Schöpfung ins Leben rief, dann ist dieser göttliche Logos das Tragende und Verbindende im gesamten Kosmos. Ich denke dabei an einen Künstler, der sein Bild malt und der sich in jedem Pinselstrich ausdrückt und zur Bekräftigung, dass dies sein Bild ist, seine Signatur daruntersetzt: Christus. „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut.“ Der gesamte Kosmos ist von diesem Logos durchdrungen und er hat sich in Christus voll entfaltet. „Er kam in das Seine“ bedeutet doch, dass alles seinen Namen trägt: Christus.
Adam und Eva
Gehen wir einen Schritt weiter zu Adam und Eva und zur Erbsünde. „Erbsünde (peccatum originale, pecc. naturae) heißt sowohl die Vergehung Adams, insofern dieselbe nicht bloß seine, sondern aller Menschen Vergehung, die Sünde des Geschlechtes ist (peccatum originale origanans), als auch die einem jeden Menschen von Natur anhaftende und durch leibliche Zeugung ererbte, habituelle, wahre und eigentliche Sünde, welche ihren Grund in der Ursünde Adams hat (peccatum originale originatum) (vgl. Trid. Sess. V, bes. can. 2. 3. 5).“[1]
Soweit das Konzil von Trient. Der Katholische Katechismus von 1997 hält noch immer an einer vererbten Sünde fest. Wie konnte es überhaupt zu einer Lehre von der Erbsünde kommen, wenn Jesus selbst ein Kind als Vorbild für das Himmelreich in die Mitte stellt und sich mit dem Kind identifiziert: „Amen, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen. . . . Und wer ein Kind wie dieses in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf.“[2] Von Erbsünde keine Spur. Vor allem Augustinus hat um etwa 418 die Lehre von der Erbsünde u. a. aus Römer 5,12 abgeleitet und diese Lehre hat sich bis heute mit einigen Einschränkungen auch im Katechismus gehalten.
Paulus und seine Vorstellung vom Anfang
Paulus schreibt: „Darum: Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt kam und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen gelangte, weil alle sündigten …“[3] und weiter: „Also: Wie es durch den Fall des Einen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so kommt es durch die Erfüllung der Rechtsordnung des Einen für alle Menschen zum Freispruch, der ins Leben führt. Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern gemacht wurden, so werden durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten gemacht werden.“[4]
Für Paulus war klar, die Geschichte von Adam und Eva hat real stattgefunden, steht ja so im AT. Worauf wollte Paulus aber hinaus? Was war seine Aussagerichtung? Klar, in Jesus sind wir gerettet. Paulus kannte sich mit dem AT gut aus und hat alle Register gezogen, um den Menschen das Heil in Jesus nahe zu bringen. Da kam ihm die Geschichte mit Adam und Eva gerade recht, damit konnte er auch Juden für die Botschaft gewinnen. Hätte Paulus damals von der Evolutionstheorie gewusst, und dass Adam und Eva niemals real existierten, hätte er die Argumentation aus einem anderen Konstrukt aufgebaut. Aber die Schöpfungsgeschichte war die damals und dort verbreitete Annahme über die Entstehung von Welt und Mensch, etwas, das nicht hinterfragt wurde, ein Konstrukt der damaligen Zeit, weil es noch keine bessere Erklärung gab.
Der Aussagekontext ist wandelbar. Die Aussagerichtung, die den Kern der Botschaft ausmacht, ist auch heute noch relevant.
Ich halte fest: Das damals vorherrschende Erklärungsmodell für die Entstehung von Kosmos und Leben wurde herangezogen, um die Erlösung in Jesus zu verkünden. Mit einem anderen Konstrukt von Kosmos und Leben hätte es die Verse im Römerbrief nie in dieser Form gegeben. Und auch Augustinus und alle anderen wären niemals auf die Idee einer Erbsünde gekommen. Daraus kann man ein Prinzip ableiten, das in der Exegese seit langem angewandt wird. Es gibt einen Aussagekontext, der heute ganz anders ist. Und es gibt eine Aussagerichtung, die den Kern der Botschaft ausmacht und auch heute noch relevant ist.
Dieses Prinzip gilt es auf alle Texte anzuwenden, vor allem auf biblische, wenn daraus eine Glaubensaussage abgeleitet wird.
Wir projizieren kontextabhängig „unser jeweils Bestes“ auf Gott.
Ein aktuelles Beispiel: Einige Lektorinnen weigerten sich, folgende Lesung aus dem Hebräerbrief vorzutragen: „Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, und er schlägt jeden Sohn, den er annimmt. Was ihr erduldet, dient eurer Erziehung; wie mit Söhnen geht Gott mit euch um. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt?“[5] Die Begründung der Lektorinnen war, dass Gott weder züchtigt noch schlägt. Unsere heutige Vorstellung von Erziehung unterscheidet sich deutlich von der vor 2000 Jahren. Damals war sie die allgemein anerkannte und praktizierte Erziehungsmethode – die Beste, die man damals kannte – und sie wurde auf Gott projiziert. Heute übertragen wir die für uns beste Erziehungsmethode auf Gott, weil sich die Pädagogik deutlich verbessert und entwickelt hat. Wir billigen Gott immer nur das Beste zu. Aussagekontext: Erziehungsmethode. Aussagerichtung: Egal, was wir Christen zu erleiden oder zu erdulden haben, wir können Gott und seiner Liebe vertrauen. Die aktuelle Diskussion um eine Neufassung des Vaterunsers basiert auf demselben Prinzip.
Was können wir festhalten?
- Die gesamte Schöpfung ist vom Logos – dem Schöpfer-Wort Gottes – durchdrungen und ist von Grund auf gut.
- Es gibt keine Erbsünde, weil der Mensch von Geburt an gut ist. Das Innerste des Menschen, der göttliche Logos, ist nicht korrumpierbar, auch wenn sich der Mensch von seinem Innersten entfernt hat und sich eine Menge Müll darüber angesammelt hat.[6]
- Alle Texte und biblische Texte insbesondere sind immer auf Aussagekontext und Aussagerichtung hin zu unterscheiden.
Wie steht es dann um das Dogma der unbefleckten Empfängnis Mariens? Das bleibt natürlich bestehen und ist meines Erachtens ein Zeichen für die unbefleckte Empfängnis aller Menschen, auch wenn sie heute anders begründet werden müsste – nämlich über den göttlichen Logos in allen Menschen.
Die Kindertaufe
Wenn es keine Erbsünde gibt, wozu dann noch die Kindertaufe? Hier kommen die Eltern mit ihrer Fürsorge und ihren Bedenken und Ängsten ins Spiel, die für ihr Kind das Beste wollen, und es soll die besten Startbedingungen haben. Und für manche Eltern kommen noch die oft unausgesprochenen Befürchtungen ins Spiel, dass ihr Kind ungetauft nicht in den Himmel kommen kann. Damit dient die Kindertaufe vor allem der Beruhigung der Eltern und sie entspringt deren Bedürfnis und einer falsch verstandenen Vorstellung von „wir wissen schon, was gut für dich ist“. Für dieses Bedürfnis der Eltern würde eine Kindersegnung – wie sie in manchen Bistümern inzwischen praktiziert wird – genau diese Funktion erfüllen, den Eltern das Gefühl zu geben, alles für ihr Kind getan zu haben. Wie sieht es aber auf der Seite der oder des Ungetauften aus? Mit dem Segen der Kirche und dem Glaubensvorbild der Eltern ausgestattet, kann sie oder er sich frei für eine Nachfolge Jesu entscheiden und sich dann taufen lassen. Im Neuen Testament und in der jungen Kirche die übliche Praxis. Das hat einige entscheidende Vorteile, die den getauften Kindern heute vorenthalten werden:
- Der Mensch trifft eine bewusste Entscheidung für die Nachfolge Jesu. Und jede bewusste Entscheidung stärkt die Persönlichkeit, weil sie ein Schritt heraus aus der Masse ist.
- Der oder die Getaufte wird von einer liebenden Gemeinschaft auf- und angenommen und erfährt darin ganz persönlich die Liebe Gottes.
- Der oder die Getaufte kann seinen Gaben und Talenten entsprechend eine Aufgabe in der Gemeinde übernehmen. Sie oder er wird damit Teil einer liebenden und aktiven Gemeinschaft, die, in dem was sie tut, die Liebe Gottes zu allen Menschen deutlich macht.
Die Kindertaufe führt in den meisten Fällen zu einem diffusen Glauben der Getauften, der langfristig in den meisten Fällen mit dem Kontaktverlust zur kirchlichen Gemeinschaft verbunden ist.
Verlieren Sie gerade etwas den Boden unter den Füßen? Wenn die Kirche es so lange praktiziert, dann kann das doch nicht so ganz falsch sein. Doch, es kann und es ist falsch. Wir können keine Entscheidung für andere Menschen treffen. Aber dazu gehört, wie zu allem im Leben, Vertrauen. Vertrauen darauf, dass Gott diesen neuen Menschen liebt, ihn auf seinem Lebensweg begleitet und über den inneren Logos – das Göttliche in jedem Menschen – zu einem erfüllten, gelungenen und verantwortlichen Leben in der Nachfolge Jesu führt, was vielen Menschen auch außerhalb der katholisch organisierten Kirche gelingt.
[1] Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon, Freiburg i. Br.: Herder‘sche Verlagshandlung 1886, Bd. 4, S. 754 [2] Mt 18,3ff. [3] Rö 5,12 [4] Rö 5,18f [5] Heb 12,6f [6] Davon unabhäng
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